Mein liebes Mütterlein,
zuhause brennt so oft am Abend eine Kerze für Dich, im großen Windlicht auf der Treppe, die unsere Stockwerke und uns so lange verbunden hat. Ein Symbol der Erinnerung wie das Licht, das auf Deinem Grab selten ausgeht. Am letzten Montag hättest Du Deinen 96. Geburtstag gehabt - und es ist nur ein winziger Trost daran zu denken, dass Du ihn vermutlich nicht mehr so hättest genießen können, wie so viele Deiner Geburtstage davor, weil Dein Lebenslicht um so vieles schwächer geworden war, bevor es letztes Jahr verloschen ist. Deine Enkel haben Dir Blumen in die Vase gestellt und Sibylle und ich waren mit Deinen Schwiegersöhnen da, um Dich in aller Stille zu besuchen. Schlimme Tage sind das, liebe Mutti, auch wenn sich nun langsam die Erinnerung an schöne Geburtstagsfeste dazu gesellt. Ich hoffe, da wo Dich Deine letzte Reise hingeführt hat, ist es hell und warm und voller Ruhe und Frieden.

Liebe Mutti,

so vieles ist in der Zwischenzeit geschehen. Und ich hätte mir so dringend gewünscht, dass Du da bist und mir zuhörst. Dass Du mir aus Deiner Lebenserfahrung heraus zur Seite stehst. Ich vermisse Dein offenes Ohr, Deine Geduld, Deine Begleitung auf meinem Weg. Du fehlst mir immer noch so sehr. 

Liebe Mutti,
ein kleiner Gruß in den Sonntag... Er fühlt sich wie so oft leer an. Dein Platz am Tisch ist leer und ich habe viel mehr Zeit als an den Wochenenden vor einem Jahr. Und ich warte darauf, dass kommt, was Du zu mir gesagt hast: dass die Leere vergeht und ich die Zeit schön finden kann, die ich jetzt mehr habe als früher...
Ich bräuchte die Zeit nicht, Mutti. Es wäre schöner mit weniger Zeit für mich und noch einmal Zeit mit Dir.

Liebe Mutti,
heute ist der 7. April - Dein Hochzeitstag. Wir würden heute gemeinsam mit einigen stillen Minuten an Deine Hochzeit mit unserem Vater gedenken und Du würdest Deinen Erinnerungen nachhängen. Ohne Seufzen und wenn mit Wehmut, dann würdest Du mir das nicht zeigen. 
Ich habe Dir gestern Tulpen auf den Friedhof gebracht - was für ein Gegensatz zu Deinem Hochzeitstag 1956, als Du im Brautkleid und mit einem Strauß gelber Teerosen im Schnee standest. Hier kündigt sich der Frühling an und die Sonne scheint. Bis in mein Herz schafft sie es noch nicht.