Wie kann ich mit der Selbsttötung eines Familienmitglieds umgehen?
Begeht ein Familienmitglied Suizid fallen Angehörige oft in ein schwarzes Loch. Bei Selbsthilfegruppen finden sie Raum ihre Gedanken neu zu ordnen und können von Gefühlen und Erfahrungen berichten. Foto: Gorodenkoff, stock.adobe.com
Es ist kaum nachvollziehbar und trifft einen meist völlig unerwartet: der Tod eines Angehörigen durch Suizid. Das Ableben eines lieben Menschen ist bereits durch Krankheit oder eines natürlichen Todes schwer zu ertragen. Nimmt sich jemand selbst das Leben, kommen zur Trauer und dem Verlustschmerz Unverständnis, das Gefühl des Verlassenseins, Schuldgefühle und Schuldzuweisungen. Warum – ist die Frage, die schwer im Raum steht. Diese Frage ist schwer bis gar nicht zu beantworten und hilft Hinterbliebenen nicht, mit dem Verlust zurechtzukommen.
Doch Suizid ist keine Randgruppenerscheinung. Jährlich sterben laut dem Statistischen Bundesamt in Deutschland rund 9000 Menschen durch Selbsttötung. Bei diesen Zahlen werden unerkannte Suizide nicht berücksichtigt. Dazu zählen
- Unklare Verkehrsunfälle
- heimliches Absetzen von lebenswichtigen Medikamenten
- Essensverweigerung im Altenheim und vieles mehr.
Was ist Suizid?
Der Begriff Suizid kommt aus dem lateinischen und lässt sich mit Selbsttötung übersetzen. Gedanken und Handlungen, die darauf abzielen, sich selbst das Leben zu nehmen, werden unter dem Hauptbegriff Suizidalität aufgeführt. Häufig nehmen sich Menschen das Leben, während sie unter einer psychischen Erkrankung wie Depressionen, Suchterkrankungen, Schizophrenie leiden. Doch natürlich gibt es viel mehr Faktoren, die einen Menschen dazu bewegen können, sich selbst das Leben zu nehmen. Neben seelischer Not können folgende Faktoren zu einem Suizid führen:
- Lebenskrisen
- körperliche Erkrankungen
- belastende Lebensereignisse wie Trennungen, Umzüge, Jobverlust, Flucht
- Suizide in der Familie
- Wenig oder keine sozialen Kontakte
- Höheres Lebensalter
Suizid in der Familie: Auswirkungen auf Hinterbliebene
Hat man einen Menschen durch Selbsttötung verloren, verändert sich das Leben der Hinterbliebenen grundlegend. Nichts ist wie es war und der Verlust trägt meist so schwer, dass dieser kaum zu ertragen ist.
Plötzlich ist der Platz nebenan leer. Nimmt sich eine nahestehende Person das Leben, schwingt unweigerlich die Frage nach dem Warum im Raum. Oft gibt es keine Antwort auf diese und Hinterbliebene müssen umgehen mit dem Verlust zu leben. Foto: Antonioguillern, stock.adobe.com
Als Angehöriger mit einem Suizid umzugehen, ist schwer. Nicht selten entwickeln Trauernde eine Depression, weshalb sie ohne Hilfe bei der Trauerbewältigung in ein schwarzes Loch fallen können. Dieses Gefühl der Taubheit kennen auch Ursula Mai und Ute Weldishofer. Beide haben ein Familienmitglied durch Suizid verloren.
„Es gibt ein Leben vor der Selbsttötung und ein Leben danach. Es ist nichts mehr, wie es zuvor war. Stellt man sich beispielsweise ein Mobile vor: Jedes Familienmitglied ist ein Teil davon, schneidet man eines ab, hängt es schief. Repariert werden kann es nicht mehr, man kann nur versuchen, damit weiterzuleben“, erklärt Ursula Mai. 1997 fand der Schicksalsschlag in ihrer Familie statt. Nachdem sie ein Jahr später an Erschöpfungszuständen litt und die Trauer nicht verarbeiten konnte, versuchte sie Hilfe bei Trauergruppen zu finden. „Ich war immer die Einzige, die einen Suizid erlebt hatte. Das konnte fast nicht sein, in Augsburg gab es bis dato jedoch noch keine Gruppe, die sich explizit mit dem Thema Suizid befasst hatte. Deshalb habe ich mich an die Gründerin Emmy Meixner-Wülker von AGUS e.V. gewandt und im Jahr 2000 die Augsburger Gruppe gegründet“, berichtet Mai.
Auch in Augsburg: Selbsthilfegruppe AGUS hilft Angehörigen, die einen Suizid erlebt haben
Bei der bundesweiten Selbsthilfeorganisation für Trauernde AGUS-Angehörige um Suizid e.V. finden Menschen, die einen nahe stehenden Menschen durch Selbsttötung verloren haben, Unterstützung. In Europa ist er der größte und älteste Verein, der durch ehrenamtliches Engagement getragen wird.
AGUS e.V. bietet
- Beratung von Betroffenen per Telefon und/oder E-Mail
- Vermittlung in eine Selbsthilfegruppe
- Bundesweite Jahresversammlung mit Fachvorträgen
- Trauerseminare
- Online-Angebote
- Literatur für Trauernde nach Suizid
Regelmäßige Treffen helfen Trauernden bei einem suizidalen Verlust
Die Augsburger Gruppe AGUS trifft sich einmal im Monat, um Betroffenen die Möglichkeit zu bieten sich auszutauschen. Laut Mai und Weldishofer gehört dies auch zu den wichtigsten Faktoren, den Verlust zu verarbeiten.
„Besonders am Anfang ist es wichtig, sich irgendwann aus der Sprachlosigkeit und der Ohnmacht herauszumanövrieren. Das ist schwierig, weil einem einfach die Worte fehlen. Unterstützung benötigen wir jedoch alle in solch einem Moment. Deshalb sollte man sagen, dass es einem schlecht geht und man Hilfe benötigt“, sagt Weldishofer.
Kontaktstellen für Hinterbliebene nach familiärem Suizid
Gerade, weil schnell auch die Schuldgefühle überhandnehmen, sind Gespräche häufig hilfreich, um das Gedankenchaos neu zu sortieren. Betroffene können mit folgenden Menschen, aber auch Gruppen Kontakt aufnehmen:
- Familienangehörige
- Nachbarn
- Freunde
- AGUS Selbsthilfegruppe
- Selbsthilfe-Gruppen für Angehörige nach Suizid
- Professionelle Hilfe durch Psychotherapeuten
- Caritas „Trauerbegleitung“
- Lacrima Trauerzentrum für Kinder
- Bundesverband verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.
- Telefonseelsorge
- Krisendienst Schwaben
- Notfallseelsorge u.v.m.
Weggedrängt werden können die Schuldgefühle in den meisten Fällen nicht. Annehmen, zulassen und sich bei Gruppen, wie den oben genannten, melden. Das kann ein erster Schritt sein, sich mit seiner Trauer zu befassen und bewusst auf das Erlebte einzugehen.
In der Augsburger Gruppe AGUS e.V. hat jede und jeder die Möglichkeit über ihren oder seinen Verlust zu sprechen. Laut den Gruppenleiterinnen verursacht bereits die Erkenntnis, dass man nicht allein ist, häufig eine Art der Schmerzlinderung. Wichtig ist es außerdem, auf sich selbst zu schauen und zu realisieren, was einem selbst in diesem Moment guttut und was man braucht.
Weitere Ansprechpartner können der Hausarzt oder die Hausärztin sein. Auch Einzeltherapien und Beratungsgespräche sind hilfreich und auch Freunde können ihren Teil beitragen. Deshalb ist es wichtig, dass auch von außen das Gespräch mit dem/der Trauernden gesucht wird.
Suizid: Die Frage nach dem Warum
Viele Betroffene fragen sich immer wieder nach dem Warum. Hätte man Anzeichen bemerken müssen? Gab es Andeutungen? Hätte man reagieren können? Warum? Doch leider ist es so, dass all diese Fragen nicht zu beantworten sind. Derjenige oder diejenige, der/die antworten könnte, ist nicht mehr da. Deshalb ist es wichtig, schnell zu verstehen, dass ein Warum nie beantwortet werden wird.
Ist es jedoch so, dass man bei jemandem Anzeichen auf die Gefahr einer Suizidalität bemerkt, sollte man sich nicht scheuen, auf die Person zuzugehen.
Suizidprävention – Warnsignale erkennen und handeln
Nicht immer ist ein Suizid vorhersehbar, manchmal kann man jedoch Warnsignale an Menschen erkennen, die mit suizidalen Gedanken kämpfen. Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) listet folgende auf:
- Veränderungen des Äußeren (z.B. dunkle Kleidung)
- Sozialer Rückzug
- Änderungen von wichtigen Gewohnheiten, Vernachlässigung von Ernährung und Körperpflege
- Direktes oder indirektes Ansprechen von Suizidgedanken
- Krisenhafte Zustände (zum Beispiel Lebensereignisse) mit Auswirkungen auf Stimmung, Schlaf, Verhalten
- Risikoreiches Verhalten
- Verabschiedungen/Verschenken, Testament
Hartnäckig hält sich der Mythos, dass man Menschen nicht nach suizidalen Gedanken fragen darf, da man sie durch diese auf die Idee bringen könnte. Die DGS weist darauf hin, dass aber gerade die Ansprache auf das Thema Leben retten kann. Für manche Betroffene kann es entlastend wirken, wenn sie sich mit ihren Gedanken an jemanden wenden können. Wie man ein Gespräch richtig angeht und welche weiteren Vorurteile es gibt, finden Sie hier.
Sowohl bei Trauernden als auch bei Menschen, die suizidgefährdet sind, ist es wichtig zu signalisieren, dass man für den Menschen da ist. Da jede und jeder mit Trauer und Problemen anders umgeht, ist es jedoch wichtig zu verstehen, dass man nicht immer helfen kann und es trotzdem weiterhin zu Selbsttötungen kommen kann.